Die Oasen und die Weiße Wüste
Hinter dem Horizont liegt Baharya. Baharya ist die erste der vier
Oasen, die an der Asphaltstraße liegen, die in einem weiten Bogen über
mehr als 1200 km von Kairo nach Luxor durch die unendlichen weiten der
Westlichen Wüste zieht.
Die Oasen sind jeweils mehrere 1000 km² großes Senken, in denen fossiles
Grundwasser in mehreren 100 Brunnen unter natürlichem Druck stehend an
die Oberfläche tritt oder gepumpt wird. Alle waren schon zu
pharaonischen Zeiten besiedelt und vielerorts fühlt man sich in diese
Zeit zurückversetzt - Ziegen, Schafe und Kühe grasen zwischen Palmen,
Esel ziehen hölzerne Flüge durch den fruchtbaren Ackerboden, Frauen
waschen Kleider an Brunnen, Männer formen mit den bloßen Händen
Wasserkanäle im lehmigen Grund und Kinder blinzeln weltvergessen in die
Sonne, die aus dem ewigen wolkenlos Blau des Himmels die ländliche
Idylle beleuchtet. Regen ist hier ein Fremdwort und regnete es
irgendwann dann doch einmal, dann mit verheerenden Folgen für die
Substanz der klassischen Lehmziegelhäuser, wie man in den zu großen
Teilen in Ruinen liegenden Altstädten sehen kann.
Wir erreichen Baharya mit den letzten Strahlen der Sonne, die glutrot
hinter Palmen versinkt. Größer könnte der Gegensatz zu Kairo nicht sein.
Mehr als eine Woche hatten wir keinen Stern gesehen, den Horizont im
ewigen Smog nur vermuten können, hatten uns abends schwarze Bollen aus
der Nase gepopelt, bevor wir erschöpft auf den durchgelegenen Matratzen
unserer Herberge ihm nie enden wollenden Lärm des Molochs nur schwer in
den Schlaf gefunden hatten. Hier überspannt der ewige Sternenhimmel das
endlose Land und außer dem Knistern des Lagerfeuer und dem leisen
Rauschen des Wüstenwind ist kein Laut zu vernehmen.
Wir machen Pause, baden in der Kühle der Nacht in einem Heißwasserbecken
beim Camp und erkunden an den folgenden zwei Tagen die Gegend, besuchen
warme Quellen, einen Salzsee, indem das überschüssige Wasser von den
Feldern Baharyas verdunstet und einen Berg, der sich wie eine riesige
Pyramide aus der Senke hebt. Wir streifen durch die weiten Palmenhaine,
halten hier und da ein Schwätzchen, lassen uns von den Einheimischen die
kleinen Geheimnisse hinter den halbverfallenen Mauern zeigen und uns mit
frischen Datteln, Orangen und allerlei Kräutern beschenken.
Wir campen in „Edens Garden“. Talat, der junge sympathische Chef des
Camps, organisiert Wüstentrips für den gelegentlichen Touristen, der
sich hierher verirrt, hat aber auch Kontakte nach Europa und kann so
auch immer wieder mal die Abenteuerlust einer größeren Gruppe
befriedigen. Am dritten Tag auf den Platz treffen andere Gäste ein. Guus
und Katrien, er Holländer, sie aus Belgien, sind auch nach Kapstadt
unterwegs - mit einem weißen Landcruiser HZJ75 mit Dachzelt. Schnell
freunden wir uns an mit dem netten Paar und folgen am übernächsten
Morgen gemeinsam einem Geländewagen von Talats Team mit drei deutschen
Touristen in die Wüste. Wir fahren durch die so genannte Schwarze Wüste,
wo vulkanische Aktivitäten vor Urzeiten schwarze Tafelberge haben
entstehen lassen und erreichen am Nachmittag nach Durchquerung einer
Schlucht einen steilen Abfall der den Blick freigibt auf eine weitere
grandiose Wüstenlandschaft: Wind und Sand formen Kathedralen, singen
seit Jahrmillionen dieses Lied, das Lied der Lobpreisung des Herrn, des
Schöpfers aller Dinge. Und wieder ist es da, dieses beunruhigend
beruhigende Gefühl der eigenen Nichtigkeit, dieses unmittelbare
Empfinden der Existenz einer höheren Macht, dieses Zeitlose, Tatenlose,
Verantwortungslose, dieses Unendliche, dieses Etwas, das sich nur in der
Wüste einstellt und man möchte ein Dichter sein und malen können mit
Worten, wie die Natur malt mit Formen und Farben und nie mehr aufhören
zu schreiben bis an das Ende der Zeit…
Lange genießen wir den Ausblick, bevor wir den langen Hang im Sand hinab
fahren. Es folgt eine grandiose Ausstellung ganz unterschiedlicher
Wüstenlandschaften: goldgelbe Sandmeere wechseln mit grauem
Geröllebenen, rot-braune Kegelberge ragen in den tiefblauen Himmel,
schneeweißer Kalkstein formt die bizarrsten Gebilde und die Annahme der
Existenz einer menschlichen Fantasie weicht der Gewissheit des
Vorhandenseins einer göttlichen…
In dieser Traumlandschaft schlagen wir unser Nachtlager auf, sitzen
wieder am Lagerfeuer, und der Wüstenfuchs sagt uns „Gute Nacht“ bevor
uns weiße Gnome mit in das Land der Träume nehmen…
Die deutschen Touristen waren nur für ein Wochenende in diese Gegend
gekommen und müssen uns so schon nach einer Nacht wieder verlassen, wir
verbringen mit Guus und Katrien zwei weitere Tage und Nächte in dieser
märchenhaften Kulisse. Und spätestens, als eine Gruppe Palmen in der
scheinbaren Ödnis uns ihren Schutz anbietet für die Nacht, spätestens
dann stellen wir keine Fragen mehr und akzeptieren: es ist, wie es ist,
wie es ist…
An unserer kleinen Oase macht eine Karawane halt. Drei Kamelhirten
treiben eine große Herde mit geschätzten 200 Tieren auf den Markt in der
nordwestlich von hier gelegenen Oase Siwa und legen auf den Weg aus dem
Sudan bis dorthin weit mehr als 1000 km zurück - zu Fuß! Sie tränken
ihre Kamele am Brunnen und füllen ihre Kanister mit dem Wasser, das hier
einfach so aus dem Wüstenboden sprudelt. Einer der Männer fasst mich um
die Schulter, kneift die Augen zusammen und deutet in die Ferne auf
einen Punkt, der sich wohl nur für die Augen eines Kameltreibers von der
umgebenden Landschaft abhebt. Wir verstehen nichts von der Welt, in der
diese Menschen leben und bleiben staunend zurück, als sie bald wieder
aufbrechen - der untergehenden Sonne entgegen…
Guus und Katrien hatten aus Gründen, die wohl nur ein ägyptischer
Bürokrat nachvollziehen kann, bei der Einreise über Nuveiba für ihr Auto
eine Zollgenehmigung von lediglich zwei Wochen Gültigkeit erhalten und
diese nach zweitägigen Verhandlungen in Kairo nur auf vier Wochen
verlängern können. So müssen sie am nächsten Tag weiterreisen, während
wir noch einen Tag und eine Nacht in dieser herrlichen Umgebung
verbringen. Auf unserem weiteren Weg durchfahren wir die Oase Farafra.
Nach dem Aufstieg aus der Senke führt die Straße wieder bergab und
umrahmt dann in fast rechteckigem Verlauf eine riesige sandige Ebene.
Der Tag geht zu Ende und so fahren wir von der Straße ab, um uns im
Schutz eines Hügels einen Platz für die Nacht zu suchen. Schon nach
wenigen Metern graben wir uns im Sand ein. Wir schalten Allradantrieb,
Geländeuntersetzung und Differenzialsperren zu, die Räder wühlen sich
immer tiefer in den weichen Sand. Wir bringen Schaufeln und Sandbleche
zum Einsatz, schließlich gelingt es uns, den Wagen zu befreien und bald
haben wir wieder festeren Grund unter den Rädern. Als wir dann noch auf
die glorreiche Idee kommen, die vorderen Radnaben zu locken, macht der
weitere Weg bis hinter den Berg keine großen Probleme mehr…
Die Strecke bleibt abwechslungsreich. Wir sehen grüne Felder inmitten
der sonst vegetationslosen Gegend. Hier wird mit immensem Aufwand in
großem Stil versucht, die Wüste urbar zu machen. Das
Bevölkerungswachstum in Ägypten ist erheblich, jährlich kommen mehr als
eine Million Menschen hinzu. Und die brauchen Raum und Nahrung…
Wir fahren vorbei ein Felsabbrüchen, die alle Farben zeigen von
rostbraun bis grün. Immer wieder säumen große Sanddünen die Straße.
Schließlich erreichen wird Dakhla, die landschaftlich reizvollste der
Oasen.
Unser Camp liegt am Rande der Oase. Ein Platz mit einer ganz eigenen
Atmosphäre, Innen und Außen in perfekter Harmonie, vor der dramatischen
Kulisse eines Felsabbruchs, der in der untergehenden Sonne rosa
leuchtet. Neben dem Camp wird heißes Wasser aus einem artesischen
Brunnen in ein Schwimmbecken geleitet und in der Nacht sind wir allein
mit dem Mond und den Sternen wie Gott uns schuf…
Wieder nehmen wir uns viel Zeit, wollen erspüren, was das Leben ausmacht
in dieser anderen Welt, wollen dem Bauern bei der Feldarbeit zuschauen
und mit dem Polizisten scherzen, wollen mit den Kindern spielen und dem
Muezzin lauschen, der die Stille des scheidenden Tages mit seinem Lied
erfüllt, dem Lied der Lobpreisung des Herrn. Wir durchstreifen die
verwinkelten Gassen der Altstädte, finden mit Mustern bemalte Wände und
mit arabischen Inschriften verzierte Holzbalken, drücken uns durch
schmale Türspalte in verlassene Wohnhäuser, gelangen über ausgetretene
Stufen in ein Labyrinth von Räumen und auf sonnige Dachterrassen, finden
Tonkrüge, Bastmatten, eine Getreidemühle und viele Dinge mehr, die von
vergangenen Zeiten zu erzählen scheinen. Große Teile der Altstädte
liegen in Ruinen, einige Häuser sind aber noch bewohnt und wirken dann
sehr gepflegt. Wir treffen freundliche Bewohner und aufgeweckte Kinder.
Die Umgebung hat einen ganz eigenen Reiz und präsentiert besonders im
Abendlicht ein Panoptikum von Farben und Formen: grüne Felder,
rot-braune Erde, Sanddünen zwischen beige und dunkelbraun, Felsen in
weiß, grau und rosa, dazwischen dunkelblau schimmernde Wasserläufe,
goldgelbe Gräser, zahllose Palmen und wieder das ewige Blau des
Himmels...