Der Süden

Die Straße, die Addis Abeba in südwestlicher Richtung verlässt,
später nach Süden abgezweigt und in das Provinzstädtchen Butajira führt,
ist in erstaunlich gutem Zustand. Wir hatten eine Piste erwartet, eine
holprige Angelegenheit, wie sie im Norden des Landes über hunderte von
Kilometern Mensch und Material beansprucht hatte, oder eine solche, wie
die am Rande des ostafrikanischen Grabenbruchs entlangführende
Nord-Süd-Achse, wo die Reste von Asphalt so groß waren, wie anderen Orts
die Schlaglöcher. Stattdessen rollen wir auf makellosen Asphalt zügig
durch die malerische Hügellandschaft. Die Rundhütten sind hier größer
als anderswo, einige sind geschmackvoll bemalt, und stehen meist in
kleinen Gruppen um einen gepflegten Grasplatz. Die Gegend wird intensiv
bewirtschaftet. Hier ziehen denn auch wieder viele Eselkarren voll
beladen ihre Schlangenlinien und in den größeren Siedlungen verkehren
Pferdegespanne als Taxis.
Überall in Äthiopien werden Straßen gebaut, meist finanziert von der EU
(diese hier von der Afrikanischen Entwicklungsbank) und ausgeführt von
chinesischen Tiefbauunternehmen. Eine verlässliche Straße ist von
erheblicher Bedeutung: Während andernorts in der Regenzeit ganze Städte
im Schlamm versinken, LKWs sich bis zur Achse eingraben oder Busse von
den schmierigen Pisten rutschen bleibt hier die Versorgung das ganze
Jahr gesichert und der Zugang zu den Märkten für die eigenen Waren
erhalten. Mangelhafte Verkehrswege werden sogar für Hungersnöte
verantwortlich gemacht. Selbst in Jahren, in denen Äthiopien insgesamt
so viele Nahrungsmittel produziert, dass die Überschüsse exportiert
werden, soll es Gebiete geben, in denen Menschen aufgrund der schlechten
Anbindung an den Markt Hunger leiden müssen (das ist natürlich nur einer
der Gründe - das Hauptproblem ist wohl doch eher ein politisches. Dazu
später mehr….). Durch die verlässliche Versorgung bleiben die Preise in
von Asphaltstraßen erschlossenen Gebieten niedrig. Allerdings scheint
auch die Wertschätzung der herangeschafften Produkte entsprechend zu
leiden - vor allem entlang der Fernstraße nach Kenia sehen wir, erstmals
in Äthiopien, wieder Berge von Zivilisationsmüll, wie wir sie vor allem
in Libyen und entlang der großen Verbindungsstraßen im südlichen Sudan
gesehen hatten.
Aber so eine Asphaltstraße bringt auch weit reichende Veränderungen der
örtlichen Sozialstruktur mit sich: Der schnell vorbei rollende Verkehr
bietet dem fliegenden Händler keine Chance, mal eben eine Staude Bananen
durch das geöffnete Fenster zu werfen, der Bettler kann sich nicht an
einem großen Schlagloch platzieren, um dem reichen Autofahrer seine
verkrüppelte Hand ins Gesicht zu halten, der findige Jugendliche nicht
bei einer Flussdurchquerung mal eben ungefragt das Auto waschen und auch
sein Kumpel, der ein paar Meter weiter ein tiefes Schlagloch mit Steinen
füllt und dafür seine Hand aufhält, wird arbeitslos. Dafür kann man hier
Schuhe tragen und den ganzen Tag die Straßen auf- und abflanieren.
Wir besichtigen eine der südlichsten Felsenkirchen des Landes -
natürlich kein Vergleich zu den Weltwundern, die wir in Lalibela und im
Tigray gesehen hatten - und besuchen ein Stelenfeld, immerhin
Weltkulturerbe, aber aufgrund der Lage abseits der Haupttouristenwege
kaum besucht. Die Errichtung von Stelen, sozusagen überdimensionalen
Grabsteinen, hat in Äthiopien eine lange Tradition: Die größten
Exemplare stammen aus dem vierten Jahrhundert, stehen (oder liegen) in
Axum im Norden des Landes (eine wurde im Zweiten Weltkrieg nach Italien
entführt) und sind bis zu 33,50 m lang und 520 Tonnen schwer; hier in
dieser Gegend werden die Toten auch heute noch mit solchen Monumenten
geehrt - freilich viel kleiner und heute meist aus Beton.
Kurz vor Butajira biegen wir nach Osten ab und erreichen nach einem
kurzen Stück Piste wieder eine Asphaltstraße, die Richtung Süden nach
Kenia führt. Leider können wir die Berichte anderer Reisender, die
Menschen im Süden seien weniger distanzlos, nicht bestätigen: Als wir
unterwegs aus dem Wagen steigen, um uns zu erleichtern, tauchen wie
gewohnt Scharen von Kindern auf und wir müssen aufpassen, dass wir ihnen
nicht auf die nackten Füße pinkeln.
Ziel unserer Etappe ist der Langanosee, der einzige in einer langen
Kette von Seen, die sich im ostafrikanischen Graben von Nordost nach
Südwest durchs Land zieht, der nicht mit Bilharziose verseucht ist und
in dem man deshalb baden kann. Der See liegt nahe genug an der
Hauptstadt, um an den Wochenenden zahlreiche Kurzurlauber anzuziehen und
dementsprechend zahlreich sind die Unterkünfte am Ufer des Sees. Wir
finden einen schönen, wenn auch teuren Stellplatz direkt am See (auf dem
Grundstück des staatlichen Bekele Mola - Hotels), verbringen eine ruhige
Nacht (es ist Nicht Wochenende) und planschen am nächsten Morgen
ausgiebig im trüben Wasser, das eine Farbe hat wie Tee mit Milch.
Auf der anderen Seite der Straße liegt der Abyata - Shala -
Nationalpark. Er umfasst das Gebiet der gleichnamigen Seen und die
unmittelbare Umgebung und ist die Heimat großer Pelikan- und
Flamingokolonien. Blühende Akazienbäume leuchten in im warmen Licht des
afrikanischen Nachmittags, als wir in den Park fahren. Es ist 2:15 Uhr
und außer dem Mann, der die Schranke öffnet, ist niemand zu sehen.
„Lunchtime, wait“, klärt der uns auf und so schauen wir uns ein
wenig um, bis sich dann endlich doch der Manager herbei bequemt, um die
Eintrittsgebühren zu kassieren. Ein von Hand gemaltes Schild weist ein „Visitors
Information Center“ aus, freilich auch geschlossen, Informationen
irgendwelcher Art seien aber sowieso nicht erhältlich, erfahren wir
später. Offenbar ist man aber immerhin bemüht, hier wieder mehr
Wildtiere anzusiedeln und so vertreibt uns der Schrankenwärter die
Wartezeit, in dem er uns ein paar Sträuße - die werden in einem Gehege
nahe des Park Head Quarters gezüchtet - und Gazellen zeigt.
„Die Infrastruktur des Nationalparks muss nach den Zerstörungen der
Bürgerkriege erst wieder aufgebaut werden“. So die erschöpfende Auskunft
unseres Reiseführers aus dem Jahr 2002. Offenbar hat man bis zum
heutigen Tage nicht mit dem Wiederaufbau begonnen: Die Pisten im Park
sind nicht beschildert und nur mit Allrad - Fahrzeugen zu bewältigen,
die zwei ausgewiesenen Campingplätze existieren schlicht und einfach
nicht und so muss der Manager denn auch eine Weile in Bergen von
Papieren graben, um uns den Preis für eine Übernachtung im Park nennen
zu können.
Nationalparks sind Schutzgebiete für außergewöhnliche Landschaften und
wilde Tiere. Hier haben wir es eher mit wilden Menschen zu tun: Horden
von Kindern stellen sich uns in den Weg, springen aufs Auto und
versuchen, uns Souvenirs aufzunötigen, Jugendliche drängen sich als
Führer auf und wollen uns an der Weiterfahrt hindern. Wir schließen die
Fenster (in Äthiopien kann eine Klimaanlage manchmal wirklich ein Segen
sein!) und finden mithilfe unserer elektronischen Karten die Piste, die
steil und voller loses Geröll zum Shala See hinab führt. Am Ufer des
Sees dampft und brodelt es und Bäche kochend heißen Wassers ergießen
sich in den See. Dort sitzen Einheimische, waschen sich und ihre Wäsche
und kochen Maiskolben in den heißen Schwefelquellen. Die einzigen
größeren Säugetiere, die wir sehen, sind die Kühe und deren Hirten. Die
Vielfalt und Farbenpracht der Vögel ist, wie an vielen Orten in
Äthiopien, allerdings beeindruckend.
Wir suchen einen der ausgewiesenen Campingplätze und finden ein
eingezäuntes Gelände mit einer Wellblechhütte. Einen Campingplatz gebe
es hier nicht, klärt man uns auf, das hier sei ein „Future Hotel“. Und
tatsächlich sind Ansätze einiger Fundamente zu erkennen und einzelne
Lehmziegel liegen zum Trocknen in der Sonne. Wir dürfen bleiben und der
alte Mann, der sonst die Blechhütte bewohnt, baut sich, mit einer Lanze
bewaffnet, zu unserem Schutz sein Nachtlager neben unserem Wagen auf.
Am Morgen geben wir ihm ein Trinkgeld, müssen uns aber leider wieder
zahlreicher Bittsteller erwehren, die behaupten, sich ebenfalls um
unsere Sicherheit gekümmert, uns wichtige Informationen gegeben oder
sonst in irgendeiner Weise zu unseren Diensten gewesen zu sein.
Wir verlassen den Park und fahren auf der Straße einige Kilometer nach
Norden. Am Straßenrand liegt eine tote Kuh, die gerade von einer großen
Schar von Geiern auseinander genommen wird. Als wir fotografieren wollen
werden wir von einem Einheimischen in aggressiver Weise daran gehindert.
Offenbar will er uns bezichtigen, seine Kuh getötet zu haben.
Über einen zweiten Eingang zum Park fahren wir in Richtung des Abyata
Sees. Anders als der Shala See weiter südlich, ein tiefer, fischloser
Kratersee, ist dieser hier ihr eine flache, dafür aber sehr fischreiche
Pfütze und lange bevor wir das Ufer erreichen entdecken wir mit dem
Fernglas am Horizont eine große Flamingokolonie. Unsere elektronische
Karte zeigt uns schon mitten im See, als wir, gewarnt durch eine
ähnliche Situation am Abbé See im Osten des Landes, wo wir auf Geheiß
eines örtlichen Führers die Randzone des Sees befahren hatten und prompt
eingebrochen waren, den Wagen abstellen. Aus einem nahe gelegenen Dorf
kommen drei Männer auf uns zu, zwei davon mit Lanzen bewaffnet. Einer
stellt sich als Angestellter des Nationalparks vor und bietet sich als
kostenloser Führer an, zwei wollen unseren Wagen solange bewachen. Der
Führer stellt sich auf das Trittbrett unseres Autos und weist uns einen
sicheren Weg zum See. Nach wenigen Metern brechen wir ein. Unter Einsatz
des Allradantriebs, der Geländeuntersetzung und der Differenzialsperre
hinten gelingt es mir, den Wagen zu wenden und auf ein mit Gras
bewachsenes Stück Land zu manövrieren.
Wir gehen zu Fuß weiter. Hatte der Boden an der Stelle, wo der
Wagen eingebrochen war, noch einen stabilen Eindruck gemacht, fühlt sich
der Untergrund nun bald an, als würden wir auf Pudding laufen. Trotzdem
kommen wir sehr nahe an das Ufer heran, so nahe, dass wir mit dem bloßen
Auge tausende von Eiern sehen können, die von zehntausenden von
Flamingos bebrütet und mit lautem Geschrei gegen uns Eindringlinge
verteidigt werden. Rosa flimmert die Luft, es riecht nach Fisch und
Vogelkot und lange genießen wir dieses unglaubliche Schauspiel.
Zurück am Auto bieten die drei Männer all ihre Ortskenntnis und
Erfahrung auf, um uns sicher auf die Piste zurück zu geleiten. Diesmal
bricht der Wagen bis zur Achse ein. Die Männer sammeln Steine und Sand,
setzen ihre Lanzen als Grabwerkzeuge ein und lassen sich schließlich
sogar überzeugen, dass in einer solchen Situation Schaufeln und
Sandbleche eine gute Hilfe sein könnten. Nach einer guten halben Stunde
sind wir frei, oder besser gesagt unser Wagen, wir selbst müssen uns,
nachdem wir unsere „neuen Freunde“ vorher schon mit T - Shirts
beschenkt hatten, mit unverschämt hohen „Trinkgeld“ - Forderungen
herumschlagen. Warum die Freunde und Helfer unbedingt verhindern
wollten, dass wir ihre Rettungsaktion fotografisch dokumentierten, wurde
uns erst später klar: Sie hatten unsere Abwesenheit genutzt, um zu
versuchen, unseren Wagen aufzubrechen und hatten während der Bergeaktion
in einem unbeobachteten Moment, in dem die Hecktüre offen stand, ein
Duschgel entwendet.
Den Nachmittag verbringen wir in himmlischer Ruhe an einem herrlichen
Fleckchen Strand am Langanosee (vergleiche auch „Reisepraktische
Informationen Äthiopien“; noch nicht online :-() und sitzen abends noch
lange am Lagerfeuer.
Am nächsten Morgen machen wir uns wieder auf den Weg nach Süden, nicht
ohne vorher am noch einmal den Parkmanager aufzusuchen, um ihn über die
Zustände in seinem Park aufzuklären. Das Problem sei bekannt, meint der
lapidar, man habe auch schon die Polizei eingeschaltet, aber die
unternehme ja nichts. Man solle eben einen bewaffneten Begleiter mit in
den Park nehmen… Der Lake Abyata Shala Nationalpark steht unter
staatlicher Leitung. In allen staatlichen Parks kämpft man mit ähnlichen
Problemen. Zwei der Nationalparks in Äthiopien sind inzwischen
privatisiert.
Das Bekele Mola -Hotel in Arba Minch steht auf einer Anhöhe und von
seiner Terrasse hat man einen herrlichen Blick über Teile des Nechisar
Nationalparks und die beiden Seen Abaya und Chamo. Wir campen im Garten
des Hotels und mieten am nächsten Tag ein Boot, das uns zu einer
Halbinsel im Chamo See bringt. Die Kulisse ist nicht von dieser Welt und
so wird der Bergrücken, der die beiden Seen trennt auch „Brücke Gottes“
oder einfach nur „Himmel“ genannt. Zahlreiche Pelikane, Kormorane und
Marabus bevölkern die traumhafte Umgebung und als wir uns der Stelle
näher heran, an der der Kolbo Fluss in den See mündet, gleiten
zahlreiche riesige Krokodile ins Wasser und begleiten unser Boot. Hier
ist der Punkt der als Afrikas beeindruckendste Ausstellung großer
Krokodile bezeichnet wird und tatsächlich finden wir uns bald inmitten
wild um sich schlagender Riesenechsen wieder. Weniger aufgeregt
präsentieren sich die zahlreichen Nilpferde, die um diese
Nachmittagsstunde träge im seichten Wasser liegen. Über die „Brücke
Gottes“ gelangen wir später auf steilen Geröllpisten in eine weite
Savannenlandschaft, wo wir zahlreiche Paviane, Dik Diks, Kudus und
verschiedene andere Antilopenarten sowie unzählige Zebras beobachten
können. An einer heißen Quelle fesseln uns hunderte knallgelber
Webervögel, die kopfüber unter ihren Nestern hängen und ihre Jungen
füttern. Wir übernachten bei einer Ranger Station im Park, diesmal
ungestört von ungebetenen Gästen - Nechisar ist einer der beiden
Nationalparks unter privater Verwaltung. Natürlich hat auch das, wie
alles, (mindestens) zwei Seiten: Schließlich haben auch hier, wie in den
anderen Schutzgebieten, Ureinwohner über Jahrhunderte ihr Vieh geweidet
und gefischt und sollen nun einem „übergeordneten nationalen Interesse“
weichen. Dass der Konflikt noch immer nicht ausgetragen ist, erleben wir
am nächsten Tag: Unbekannte, nach Überzeugung der Parkverwaltung
ehemalige Einwohner, haben mehrere Buschfeuer gelegt…
Konso, 90 km südlich von Arba Minch, ist der letzte Außenposten der
Zivilisation in einem westlichen Sinne. Für das Jahr 2003 hatte man der
Stadt den Anschluss an die Elektrizitätsversorgung versprochen und wir
werden nun, im April 2007, Zeugen, wie an den Masten entlang der Piste
in die Stadt tatsächlich dicke Kabel emporgezogen werden. Wir finden ein
Hotel mit Notstromaggregat und so geht, wenn's dem Wirt gefällt, erst
abends um 10 oder 11:00 Uhr das Licht aus. Alle Zimmer in dem Hotel
verfügen über Bad und WC, nur funktioniert leider keines von beiden,
doch als wir insistieren wird uns prompt ein Eimer Wasser ins Zimmer
gestellt. Im Ort gibt es eine Total Tankstelle. Weil es keinen Strom
gibt wird von Hand gepumpt. Und so müssen wir, nachdem wir den
Spritpreis auf ein erträgliches Maß herunter gehandelt haben, auch noch
Verhandlungen mit dem Bediener der Pumpe um dessen Arbeitslohn führen.
Um Konso hat sich eine ganz eigene Kultur erhalten. Seit Jahrhunderten
werden hier die Berghänge in aufwändiger Weise terrassiert und intensiv
bewirtschaftet, die soziale Organisation in den traditionellen Dörfern
basiert auf einem komplizierten System der Generationenfolge, Frauen
tragen einen aus grober Baumwolle gewebten und mit bunten Borden
verzierten Rock und die älteren unter ihnen haben sich noch nicht an die
bunten T - Shirts made in China gewöhnt, tragen diese lieber als eine
Art Halstuch und präsentieren dem Besucher ihren nackten Busen. Wir
nehmen uns einen örtlichen Führer und besichtigen einige dieser Dörfer.
Wie vielerorts in Äthiopien gibt es nicht ausreichend Lehrer und
Schulenräume in der Gegend und so findet der Unterricht, obwohl bis zu
90 Kinder gleichzeitig in einem Raum unterrichtet werden, in zwei
Schichten statt, so dass man sich zu jeder Tageszeit auch hier Horden
von Kindern ausgesetzt sieht, deren lautstark vorgetragene Forderungen
nach leeren Plastikflaschen und Geld bald in den Ohren gellen. Trotzdem
ist der Ausflug sehr interessant und wir bekommen eine vage Vorstellung
davon, wie anders das Leben hier funktioniert.
Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat. Hier werden 83 verschiedene Sprachen
mit über 200 unterschiedlichen Dialekten gesprochen. Konso ist das Tor
zu einem Gebiet, welches als das „Lower Omo Valley“ bezeichnet wird.
Diese Region ist Teil der Provinz „Southern Nations, Nationalities and
Peoples Region“, einer Provinz, in der die Dichte unterschiedlicher
Ethnien besonders hoch ist und die deshalb manchmal auch als „Museum der
Völker“ bezeichnet wird. Die Völker, die hier leben, umfassen zum Teil
gerade mal 1500 Angehörige und haben sich ihre Traditionen so
unverfälscht bewahrt, dass sie auch von uns Laien anhand ihrer Frisuren,
ihrer Körperdekoration und anhand des Baustils ihrer Hütten
unterschieden werden können. Wir wollen einige dieser Völker besuchen
und fahren deshalb weiter nach Westen.
Aus dem fruchtbaren Bergland um Konso für die Piste herab in eine
sandige Buschsavanne. An der Piste stehen vereinzelt Rundhütten, einige
trockene Flussbette sind zu durchfahren. Wir kommen ins Land der Tsemay.
Ein paar Mädchen stehen lachend und winkend an der Straße, spärlich
bekleidet mit Ziegenfellen, reich geschmückt mit Ketten aus bunten
Perlen oder Kauri - Muscheln, Arm- und Fußreifen und Ohrringen aus
Metall (siehe Foto in der Heilbronner Stimme vom 19.4. 2007). In dieser
Gegend trägt kaum jemand mehr ein westliches Kleidungsstück und wir sind
sehr überrascht, auch in den größeren Ansiedlungen und auf den Märkten
fast ausschließlich traditionell gekleidete Menschen zu sehen.
Die zunehmende Hitze macht uns müde, die ungewohnte Umgebung neugierig
und so beenden wir unsere Tagesetappe schon am frühen Nachmittag. Weyto
besteht aus einigen wenigen Lehmhütten und liegt, wie viele größere
Ortschaften in dieser Gegend, an einer Weggabelung. Es gibt kein Telefon
und deshalb sind solche Orte wichtig für den Austausch von Informationen
und Nachrichten. Hier halten die Isuzu - Trucks, die in dieser Provinz
als öffentliche Verkehrsmittel dienen. Man fragt den Fahrer nach dem
Zustand der Piste und einer der Dutzenden von Menschen, die in der
brütenden Hitze auf der Ladefläche ausharren, um ihren Stehplatz nicht
an einen anderen Reisewilligen zu verlieren, weiß bestimmt etwas über
das Wohlergehen der Cousine in übernächsten Dorf oder kennt jemanden,
der schreiben kann und gewillt ist, eine Nachricht an den Onkel in der
Stadt mitzunehmen. An der Haltestelle gibt es ein Lokal und wir dösen im
Schatten eines strohgedeckten Pavillons und betrachten die Szenerie aus
halb geöffneten Augen, bevor wir hinter dem Haus unser Nachtlager
aufbauen.
Sogar Duschen gibt es hier und ein Klo mit Wasserspülung und im Hof
stehen die Reste eines hellblauen Porzellanwaschbeckens. Das Wasser
stammt aus einem Loch, das man im nahe gelegenen Flussbett gegraben hat.
Mit Eselskarren wird es herangeschafft und dann mit Kanistern auf ein
wackliges Holzgestell gehievt und dort in einen Tank gefüllt. Es fließt
so schlammig-braun aus der Leitung, dass wir dann doch lieber auf die
ersehnte Abkühlung verzichten.
Am nächsten Tag ist Markt in Key Afar, gut eine Stunde Fahrt von hier.
Ein Markt in Afrika ist eine Art Konzert, improvisiert, spontan, ein
Fest. Es wird gehandelt und gelacht, erzählt, getratscht, getrunken;
eine Arzt lokales Bier aus Mais und Hirse wird in Kalebassen abgefüllt
herumgereicht. Die Menschen kommen von weit her, sind bis zu zwei Tagen
unterwegs zum Markt, oft über 50 km, zu Fuß natürlich. Vor allem Frauen
handeln hier. Ein Bündel Holz, so schwer, dass wir's nicht heben können,
wird stundenlang hierher geschleift und bringt dann 10 bis 15 Birr (um
ein Euro), kauft`s einer macht die Frau noch mal den Buckel krumm und
bringt´s dem Käufer bis ins Haus, der Service ist beim Preis dabei.
Zwei, drei Tomaten, ein winziges Gefäß mit Chilipulver, ein ausgehöhlter
Kürbis voller Butter zur Verschönerung der Haare oder ein Armreif aus
Metall - viel mehr ist es häufig nicht, was eine dieser Frauen
anzubieten hat
In und um Key Afar leben die Banna und es ist beeindruckend, wie
selbstverständlich sie ihre Traditionen leben und sich von uns
Beobachtern aus einer anderen Welt nicht stören lassen. Hier sind auch
die Männer bunt geschmückt, einer mit Feder auf dem Kopf zeigt soll der
Welt, dass er gerade erst geheiratet hat. Am Schmuck der Frau kann man
erkennen ob sie die erste, zweite oder dritte Frau des Mannes ist.
Wir bleiben lange auf dem Markt und fühlen uns hier nicht bedrängt,
sondern im Gegenteil sehr freundlich aufgenommen. Freilich sind wir
nicht die ersten Touristen hier und müssen, wie überall in dieser Gegend
üblich, für Fotos Geld bezahlen.
Am Nachmittag erreichen wir Jinka, mit etwa 12.000 Einwohnern mit großem
Abstand die größte Stadt der Region und Verwaltungszentrum der Provinz…
Wird fortgesetzt! Lasst euch überraschen